Die Bücherdiebin

Seit wir Disney+ haben, schau ich mir hauptsächlich die alten Disney Filme aus meiner Kindheit an. Neulich jedoch bin ich auf einen weiteren Film gestoßen – „die Bücherdiebin“. Ich habe mich so gefreut, das zu sehen und musste ihn direkt schauen. Warum ich mich so gefreut habe? Nun ja, vor knapp sechs Jahren habe ich bereits das Buch von Markus Zusak gelesen. Ich war bei keinem Buch vorher und auch später nie wieder dermaßen emotional mitgenommen. Ich habe noch nie am Ende eines Buches so stark weinen müssen – generell kommt das (im Gegensatz zu Filmen) bei Büchern tatsächlich eher seltener bei mir vor.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, ich lag damals, knapp 14 Jahre alt vielleicht, in meinem Bett und wollte abends noch das Buch beenden. Ich lag mehrere Minuten still da und habe einfach nur geweint. Ich war einfach überwältigt, von dem Buch, meinen Emotionen.

Kurze Zeit später ist der Film dann sogar in die Kinos gekommen und nachdem das Buch mich so umgehauen hat, war für mich klar: ich muss da hin. Leider habe ich den Film verpasst, worüber ich ziemlich traurig war. Daher habe ich den Film bis vor wenigen Tagen gar nicht schauen können.

Obwohl das Buch bereits knapp sechs Jahre her ist, konnte ich mich noch sehr gut an jedes Detail erinnern, einfach, weil mich dieses Buch auch irgendwie geprägt hat (ich glaube, ich habe es damals auch bei einer dieser tausend Büchervorstellungen in der Schule vorgestellt). Ich hatte aber auch ein wenig Angst vor dem Film, dass er mir das Buch und die Geschichte kaputt macht (das gleiche ist mir bei der „Legende der Wächter“ passiert: Bücher inhaliert und der Film war eine einzige Enttäuschung).

Der Film ist meiner Erinnerung nach, ziemlich nah am Buch, was mir schonmal sehr gut gefällt. Besonders mag ich an der Erzählweise, dass der Leser und der Zuschauer durch die Figur des Todes in die Handlung eingeführt und auch wieder hinausbegleitet werden. Diese Sicht auf diese, eigentlich unschönen Ereignisse, das Sterben, finde ich sehr beruhigend. Es gibt einem das Gefühl, es ist nicht schlimm, zu sterben, der Tod wartet wie ein alter Freund auf einen und holt einen ab, wenn man soweit ist (bei mir dauert es allerdings noch etwas, ich habe auf dieser Erde noch einiges zu erleben und bin noch nicht fertig). Ich glaube, viele Menschen haben Angst davor, zu sterben. Vielleicht war das Buch unter Anderem auch ein Grund dafür, dass ich tatsächlich keine Angst davor habe, selbst zu sterben. Ich habe Angst, dass Menschen, die ich lieb habe, sterben, aber vor meinem eigenen Tod habe ich keine Angst, er geschieht ja doch sowieso.

Nun aber kurz zur Handlung (Spoilerwarnung!). Die Geschichte spielt während des zweiten Weltkriegs in einer deutschen Stadt. Ich finde es unfassbar spannend und auch erschreckend, Einblicke in die damalige Zeit, das Leben und Denken zu bekommen (auch wenn dies ein Roman ist und von historischen Augenzeugenberichten klar abgegrenzt werden muss). Protagonistin ist Liesel, ich denke um die 12 Jahre alt. Sie wurde von ihrer Mutter (einer Kommunistin) abgegeben und kam zu einer Pflegefamilie. Auf dem Weg zu dieser Familie im Zug stirbt ihr kleiner Bruder Werner. Liesel kommt zu der Familie, die Pflegemutter, ein sehr rauer Charakter (jedoch mit einem weichen Kern), die das komplette Gegenteil von ihrem liebevollen Pflegevater ist. Liesel lernt mit ihm zusammen lesen, sie hat im Keller ihr eigenes Wörterbuch an der Wand, was sie immer weiter erweitert. Das erste Buch, mit dem sie auch lesen lernt, ist ein Handbuch zur Totenbestattung, was einem Totengräber bei der Feldbestattung ihres kleinen Bruders aus der Tasche gefallen war und Liesel an sich genommen hat.

Mit ihrem Vater lernt sie zusammen lesen und freundet sich mit dem Nachbarsjungen Rudi an. Die beiden verstehen sich gut und erleben einige Dinge zusammen. Rudi ist ein begnadetes Lauftalent – sein Vorbild ist Jesse Owens, zur Zeit von Hitler nicht gern gesehen. Rudi hat große Pläne in seinem Leben, er möchte selbst wie Jesse Owens laufen und bekommt auch bald eine entsprechende Förderung.

Zwischenzeitlich nimmt Liesels Familie einen Juden, Max, auf und versteckt ihn im Keller. Die Familie hütet nun ein großes Geheimnis, was für jeden tödlich endet, sollte es entdeckt werden. Im weiteren Verlauf der Handlung gibt es auch eine Szene zur Bücherverbrennung, auch hier lässt Liesel nach dem Ende der Zeremonie, als alle weg waren, ein Buch mitgehen und liest es Max vor, als dieser schwer krank ist. Liesel darf sich auch in der Privatbibliothek des Bürgermeisters bedienen und so liest und liest Liesel. Das Lesen hilft ihr sehr in dieser dunklen NS-Zeit. Immer wieder gibt es Fliegeralarm, die Familie muss, gemeinsam mit anderen Menschen, im Schutzbunker warten, bis alles vorbei ist. Liesel liest den Menschen aus den Büchern vor. Irgendwann verlässt Max das Haus, zu groß ist die Angst, er könnte entdeckt werden.

Eines Nachts, ohne Alarm, Liesel ist beim Lesen im Keller eingeschlafen, wird die Straße von Liesel, die Himmelstraße, von Fliegern zerbombt. Liesel wird am nächsten Morgen von Helfern aus den Trümmern gezogen, mittlerweile ist sie vermutlich um die 14 Jahre, sie sieht ihre toten Pflegeeltern, wie sie in ihren Betten starben. Sie sieht die Mutter und Geschwister von Rudi tot. Und dann sieht sie auch Rudi, der auch gestorben ist. Dieser Tod hat mich so mitgenommen, wir haben mitbekommen, wie viel er noch vor hatte im Leben, kannten seinen Charakter, er war noch nicht so weit zu sterben (wie so viele viele andere tausend Seelen). Dieser Tod hat mich einfach wahnsinnig mitgenommen.

Ganz am Ende des Buches berichtet schließlich der Tod, wie er Liesel, mittlerweile fast 90, dann auch abholte.

Allein dies zu Schreiben verursacht bei mir Gänsehaut. Warum kann ich nicht genau sagen. Trauer, Schauern, Ungläubigkeit. Denn diese Charaktere mögen zwar fiktiv sein, aber ihre Geschichten und Schicksale sind es weitestgehend nicht. War damals in Deutschland passierte, ist so schrecklich und es ist nicht nur Vergangenheit. In vielen anderen Ländern ist dieser Zustand leider immer noch die Gegenwart. Und wie Rudi, Liesels Eltern und all die anderen, sterben jeden Tag so viele unschuldige Menschen. Kinder, Erwachsene, Mütter, Väter, Tanten, Onkels, Großeltern. Im Krieg, an Krankheiten, durch Unfälle oder einfach so. Es ist tragisch. Ich kann mich nur wiederholen: ich habe keine Angst vor meinem eigenen Tod, aber ich habe Angst vor dem Tod von Menschen, die ich liebe. Und ich trauer um jeden, der diese Möglichkeiten, die ich hier habe, nicht hat. Der viel zu früh aus dem Leben gerissen wurde. Dessen Leben nur aus Angst (Krieg, Krankheit usw.) besteht. Nur aus Angst und Hoffnung. So viele Menschen gehen viel zu früh und wir können nichts daran ändern. Vielleicht sollten wir etwas dankbarer sein, mit den Chancen, die wir hier haben. Wir dürfen leben. Und dann auch noch ein so privilegiertes Leben. Müssen keine Angst vor Fliegerbomben, Explosionen haben. Wir dürfen unser Leben leben, bis es dann auch irgendwann im Tod endet.