Desozialisation durch Corona?

Werden wir unfähig, mit anderen Menschen Konversationen zu führen? Vereinsamen wir? Wird es für uns unmöglich, auf andere Menschen zuzugehen und sie kennenzulernen? Brauchen wir überhaupt andere Menschen oder haben sie in unserem Leben kein Platz? Haben wir verlernt, uns mit anderen Menschen zu unterhalten?

Diese Fragen stelle ich mir oft. Ich habe gemerkt, dass sich mein Verhalten gegenüber anderen Menschen seit Corona massiv verändert hat. Sicher, ich war schon immer ein eher zurückhaltender und schüchterner Mensch. Aber seit Corona ist es noch mal schlimmer geworden. Ich habe oft das Gefühl, ich bin unfähig, ein einfaches Gespräch zu führen. Unfähig dazu, eine einfache Konversation zu führen. Nicht sicher genug, auf andere Menschen zuzugehen. Sie anzusprechen. Wenn ich zurück denke an meinen Schulwechsel. Ich bin damals über meinen Schatten gesprungen und bin auf sehr viele direkt zugegangen, um Kontakte zu knüpfen. Habe Menschen angesprochen. Dies wirkt heute in weiter Ferne. Der Schatten ist irgendwie größer geworden. Ich glaube verstärkt wird das auch durch das meterweite Ausweichen entgegenkommender Menschen, wenn man spazieren ist oder einkaufen. Durch den extra großen Bogen wird unterbewusst ein Alarm-Signal „Achtung, gefährlich. Bitte großen Bogen drum machen“ ausgelöst.

Ich weiß noch nicht, wie es nach Corona und nach Aufheben der Beschränkungen wird. Auf der einen Seite fehlen mir Kommilitonen, mit denen ich mich über das Studium austauschen kann, zusammen lernen usw. Über ein halbes Jahr studiere ich nun, ohne mich wirklich mit jemandem austauschen zu können. Das fehlt mir sehr. Daher warte ich darauf, dass wir endlich wieder in die Uni dürfen (wo 30 Schüler in enge Klassenzimmer in voller Klassenstärke lernen dürfen, aber die Studenten voll vergessen ihre 30-Kopf Seminare nicht auf 600 Personen Hörsäle aufteilen könnten und somit wesentlich mehr Abstand einhalten könnten, sondern weiterhin zu Hause bleiben müssen). Auf der anderen Seite habe ich aber auch Angst davor. In einigen Monaten vielleicht die Menschen mal in Wirklichkeit zu sehen, mit denen ich bereits seit einem Jahr studiere und nur vom Namen oder Bildschirm kenne. Mit denen ich noch nie richtig gesprochen habe, man aber dennoch irgendwie online Gruppenarbeiten erledigt.

Ich glaube, es wird eine wahnsinnig komische Situation. Ich muss über meinen Schatten springen und auch auf Leute zu gehen, sonst steh ich alleine da. Der Druck (den ich mir vielleicht auch selbst mache), ist schon hoch. Was, wenn ich keinen Anschluss finde? Was, wenn niemand etwas mit mir zu tun haben möchte? Fragen, die ich mir bei meinem Schulwechsel (soweit ich mich erinnere) eher weniger gestellt habe.

Bin ich durch Corona desozialisiert? Bin ich unfähig, mit Menschen zu agieren? Ich merke oft, dass sich meine Angst vor Menschenmassen extrem gesteigert hat. Ich bin so viele Menschen einfach nicht mehr gewohnt. Ich erwische mich immer wieder in Situationen, in denen ich Angst vor fremden Menschen habe. Ob das so eine gute Voraussetzung als Grundschullehrerin ist?

Ich hoffe, dass ich das alles nach Corona wieder rückgängig machen kann und dann endlich jemanden finde, mit dem ich mich über mein Studium austauschen und treffen kann (ohne Schweißausbrüche und Angst wäre schön!). Und das ich endlich über meinen eigenen Schatten springen und wieder offen und kontaktfreudig durch die Welt gehe. Vielleicht geht es ja auch anderen so, dass sie durch Corona das Gefühl der Desozialisation durchleben?